ÖRR, wir müssen reden!
Anlässlich der unfassbaren Amokfahrt von Mannheim am Montag und dem medialen Umgang damit muss ich ein paar Zeilen loswerden.
Als die die britische Militärverwaltung 1945 den englischen Journalisten Hugh Greene damit beauftragte, die erste Landesrundfunkanstalt nach Art der britischen BBC zu gründen, hatte man ein neutrales Nachrichten- und Informationsmedium im Sinn. Die Manipulation durch Propaganda, wie im 3.Reich erlebt, sollte nie wieder möglich sein. Nach der Gründung der Bundesrepublik entstanden dann nach und nach die anderen Landesrundfunkanstalten, die schließlich zur ARD wurden. Das ZDF kam im April 1963 dazu.
Ich war – und bin – ein großer Freund des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks (ÖRR). Die zugrundeliegende Idee der neutralen Berichterstattung und auch des damit verbundenen Bildungsauftrags finde ich total gut und wichtig. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist ein „hohes Gut“ heißt es immer. Und das stimmt.
Natürlich hat sich im Laufe der Jahrzehnte so manches ins Programm geschlichen, das nicht zwingend etwas mit dem Demokratiebildungsauftrag zu tun hat – das fängt beim Traumschiff an, geht über Volksmusikshows bis hin zu Unsummen für die Übertragungsrechte irgendwelcher Sportereignisse. Das darf man, wie ich finde, mal kritisch hinterfragen. Ist jetzt gerade aber nicht das Thema.
Im Fall von Mannheim erleben wir wie das dritte Mal innerhalb weniger Wochen einen Mann, der ein Auto als Waffe missbraucht. Er tötet dabei zwei Erwachsene und verletzt noch andere Menschen teils sehr schwer. Das ist verabscheuungswürdig und kaum zu fassen.
Wir befinden uns eine Woche nach der Bundestagswahl, in der sich alle Parteien mit Abschiebeforderungen und Grenzschließungsfantasien gegenseitig überboten haben. In dieser ganzen Wahlkampfzeit (und natürlich auch schon früher) hat man über nichts anderes gesprochen als über Migration. Als wenn Deutschland nur ein Problem hätte, nämlich „die Ausländer“.
In dieser unsäglichen Diskussion haben sich die öffentlich-rechtlichen Staatsmedien schon nicht sehr mit Ruhm bekleckert. Statt mit sauberem Journalismus gegen diese thematische Einseitigkeit vorzugehen, ließ man sich von rechten Meinungsmachern vor sich hertreiben. Im Kanzlerkandidaten-Duell ging es fast ausschließlich um Migration. Wohnungs- und Fachkräftemangel, Inflation, eine zunehmend erstarkende Rechte, Ukraine – all diese Themen wurden gar nicht oder nur in einem Halbsatz angerissen. Die Moderatorinnen Maischberger und Illner legten eine inhaltliche wie auch dialektische Inkompetenz an den Tag, die beim Zusehen weh tat.
In der jüngeren Vergangenheit wurde vom ÖRR der Grundsatz der Meinungsfreiheit und -vielfalt dahingehend interpretiert, dass man verpflichtet sei, ALLEN Parteien eine Plattform zu bieten. Und so wurde der ÖRR zu einem Multiplikator für den neofaschistischen Propagandaquatsch der verschiedenen Putin-Brigaden. Weidel, Chrupalla, Wagenknecht, aber eben auch der sich an rechte Positionen anbiedernde Merz durften ihre Mär vom Allheilmittel des Abschiebens und Grenzen dicht machens ungestraft in jede öffentlich-rechtliche Kamera blubbern. Den immer vollmundig versprochenen „Faktencheck“ gab es am Tag drauf meist wirklich, der gute Wille war wohl da – einzig, niemand hat das dann noch gelesen.
Ist das Unfähig- oder Einfältigkeit des ÖRR? Spätestens seit dem Anschlag von Mannheim fragt man sich, ob da ein System dahinter steckt. Denn irgendwie ist die Berichterstattung über diesen Anschlag ganz anders als bei den Anschlägen zuvor. Beziehungsweise gar nicht mehr vorhanden.
Bei all den furchtbaren Anschlägen vorher, die jeweils durch (vermeintliche) Migranten verübt wurden, gab es tagelang Sondersendungen und keine Nachrichtensendung, die nicht mit dem Thema eröffnete. Bild, Nius und Welt überschlugen sich mit Hass und Hetze und dem Narrativ, dass dies mit einer geschlossenen Grenze nie passiert wäre (was aus ganz vielen Gründen Schwachsinn ist, aber das gehört in einen anderen Blogpost).
Am Abend der Tat in Mannheim stellte sich Baden-Würtembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor die Presse, erklärte, dass der Täter ein Deutscher und keinerlei politische Motivation erkennbar sei, mutmaßlich sei der Täter psychisch krank. Gewagte These so kurz nach den Ereignissen. Man könnte den Eindruck einer Bagatellisierung bekommen.
Nachdem öffentlich wurde, dass der Täter womöglich einen rechtsextremistischen Hintergrund hat, verschwand das Thema binnen Stunden aus sämtlichen Medien. Auch und vor allem aus dem ÖRR. Kein ARD-Brennpunkt, kein heute-Extra und raus aus den laufenden Nachrichten.
Und das ist ein Problem.
Denn es zeigt, dass es beim ÖRR inzwischen ganz offenbar eine Meinungsagenda gibt, die unter dem Deckmantel einer vermeintlich ausgewogenen Berichterstattung erzkonservativen und faschistischen Narrativen eine Bühne bietet. Und gleichzeitig aktiv Themen sterben lässt, die nicht in die Erzählung passen.
Dafür wurde unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk aber nicht gemacht. Er war als Sicherung für die Demokratie und die demokratische Meinungsfindung gedacht.
Achja, übrigens: Die Programmdirektorin der ARD ist Christine Strobl. Ehefrau von oben erwähntem Innenminister Thomas Strobl und nebenbei ebenfalls CDU-Mitglied.
Hm. Keine Pointe.

